Hinterm Herd gleich links – wo eine Küche zum Gefängnis wurde

Vom Herd ins Gefängnis: Margarete Schütte-Lihotzky, erste Architektin Österreichs, war viel mehr als nur die Schöpferin der Frankfurter Küche.

Hinterm Herd gleich links – wo eine Küche zum Gefängnis wurde

1934 wird sie – zusammen mit anderen Mitgliedern der Kommunistischen Partei – verhaftet und wegen „Hochverrats“ angeklagt. Man verurteilt sie zu 15 Jahren Gefängnis. Nach mehreren Monaten der Haft in Frankfurt am Main wird sie gegen Zahlung einer hohen Geldstrafe freigelassen und muss ins Exil.

Sie flieht zunächst nach Istanbul, arbeitet dort als Städteplanerin und organisiert eine Ausstellung über die Wohnbedingungen der türkischen Bevölkerung. Später geht sie in die Sowjetunion, ist in Moskau am Institut für Städtebau und Architektur tätig, arbeitet an der Planung von Siedlungen und der Gestaltung von Kindergärten mit, und in Tiflis entwirft sie ein Kulturzentrum.

Was gut und gerne die Skizze zu einem historischen Polit-Krimi sein könnte – mit ungewohnt weiblicher Protagonistin –, ist in Wirklichkeit herbe Realität. Es ist die Geschichte der außergewöhnlichen Margarete Schütte-Lihotzky, die so viel mehr war als nur jene Architektin, welche die Frankfurter Küche entwarf.

Zeitlebens wird die Aktivistin und Frauenrechtlerin auf ihr vermeintlich wichtigstes Werk reduziert; auf eine Errungenschaft, für die sie sich noch zu Lebzeiten vor Feministinnen dagegen rechtfertigen muss, „die Frau an den Herd gefesselt“ zu haben: die Frankfurter Küche.

 

"Wenn ich gewusst hätte, dass alle immer nur davon reden,
hätte ich diese verdammte Küche nie gebaut!"

Margarete Schütte-Lihotzky

 

Schütte-Lihotzky und die Frankfurter Küche: Eine Hassliebe

Im Rahmen des „Neuen Frankfurt“ in den 1920er Jahren entworfen, etabliert sich die Frankfurter Küche in Windeseile zum wegweisenden Erfolg: Schütte-Lihotzky gestaltet in Zusammenarbeit mit Hausfrauen und Wissenschaftlern die Küche so, dass sie alle Arbeitsprozesse rationalisiert und damit Zeit und Arbeit erleichtert.

Diese Küche ist speziell für kleine Wohnungen konzipiert. Sie hat eine effiziente Arbeitsfläche und ein System zur Aufbewahrung von Geschirr und Lebensmitteln und dient damit als eine Antwort auf die wachsende Zahl von Menschen, die in städtischen Gebieten leben und immer weniger Platz zur Verfügung haben.

So wird das Konzept Schütte-Lihotzkys zum Inbegriff der modernen Küche – einer effizienten, standardisierten Kücheneinrichtung, die den Anforderungen an eine industriell gefertigte Wohnküche gerecht wird. Die Frankfurter Küche ist bis heute ein Paradebeispiel für den Einsatz von wissenschaftlicher Planung und Technologie im Bereich der Hausarbeit und für die innovative Gestaltung von Wohnräumen, die den Bedürfnissen der Menschen entsprechen.

 
Architektin, Aktivistin, Autorin, Abenteurerin – und oft die Erste

Aufgrund ihrer Küchenentwürfe wird Margarete Schütte-Lihotzky wiederholt auf ihre Arbeit in diesem Bereich reduziert. Sie ist aber so viel mehr als nur die Architektin, die der Arbeit hinter dem Herd Effizienz und Raum verliehen hat.

 

"Ich bin keine Küche."

Margarete Schütte-Lihotzky

 

Vor allem ist sie oft Pionierin. In Österreich ist Schütte-Lihotzky die erste weibliche Architekturstudentin und lange auch die erste Frau, die in dem Beruf erfolgreich arbeitet. Dem Kommunismus wendet sie sich als Opposition zu Hitler zu – ihr Widerstand bringt sie als politische Gefangene ins Zuchthaus, wo sie schwer gefoltert und misshandelt wird. Margarete Schütte-Lihotzky ist ständiger Überwachung und Schikane ausgesetzt, ihre Gesundheit durch die Haftzeit stark beeinträchtigt.

Nichtsdestotrotz setzt Schütte-Lihotzky ihr politisches Engagement nach ihrer Entlassung fort. Sie kämpft gegen den Nationalsozialismus, engagiert sich für die Rechte von Frauen und setzt sich als Architektin und Designerin weiter für ihre Vision ein: von Freiheit und Gerechtigkeit, von lebenswertem Bauen, von einer gerechteren und effizienteren Gesellschaft. Sie entwirft Möbel und andere Haushaltsgegenstände. Sie schreibt über Architektur und Stadtplanung, über Politik und Soziales. Sie ist die erste Präsidentin des Bundes Demokratischer Frauen Österreichs (BDFÖ) und gründet das „Urania Frauenkomitee“, das zwischen 1960 und 1994 regelmäßig Vorführungen antifaschistischer Filme in der Wiener Urania organisiert. In Bulgarien gründet sie außerdem eine eigene Abteilung für den Bau von Kinderhäusern (Kindergärten) an der Stadtbaudirektion Sofia.

Für ihr unermüdliches Engagement erhält Schütte-Lihotzky unter anderem:

  • den Preis für Architektur der Stadt Wien
  • die Ehrenmitgliedschaft der Hochschule für Angewandte Kunst
  • das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst
  • die Ehrennadel der Ingenieur- und Architektenkammer
  • das Große Ehrenzeichen der Republik Österreich

"Ich habe mir nie vorgestellt, Bahnhöfe oder Kulturpaläste zu bauen.
Ich wollte Architektin werden, weil ich zur Linderung des Wohnungselends beitragen wollte."

Margarete Schütte-Lihotzky

 

Margarete Schütte-Lihotzky wurde am 23. Jänner 1897 in Wien geboren und verstarb dort am 18. Jänner 2000. Sie wurde 103 Jahre alt.

 

Text: Katha M. Gritsch

 

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